Das System sieht keine Hochbegabten vor

  • Unser Bildungssystem in Österreich sieht an sich keine Hochbegabten vor. Das Gymnasium ist für den IQ-Bereich 110 bis 125 ausgelegt. Hochbegabung beginnt bei IQ 130, Höchstbegabung bei IQ 145.

    Hochbegabte Schüler fallen in der Regel in eine von zwei Kategorien: Entweder sind sie gut erzogen und unauffällig, oder sie gehen den Lehrern auf die Nerven, weil sie den Unterricht stören. Die erste Gruppe kommt im System weiter, die zweite Gruppe fällt durch den Rost.

    Leider wird das Studium an der Universität in diesem Zusammenhang oft überschätzt. Auch nur in wenigen Uni-Studien werden die Studierenden kognitiv derart gefordert, dass ein Hochbegabter in seinem Studium voll und ganz aufginge. Auch sind Professoren in der Regel keineswegs daran interessiert, hochbegabte Studierende oder Absolventen als Mitarbeiter zu gewinnen, teilweise auch, weil sie diese als Konkurrenten betrachten.

    Das System benachteiligt somit Hochbegabte, die dadurch oft gezwungen sind, sich ihr ganzes Leben lang zu verstellen, um nicht als Hochbegabte erkannt zu werden.

    Deswegen ist es auch traurig, dass der Vorstand des größten Hochintelligenzvereins Österreichs derzeit von Personen mit geringem Bildungsgrad dominiert wird, die höher Gebildeten feindlich gegenüber stehen. Hochbegabte Studierende und Akademiker haben zurzeit keine richtige Heimat. Manchen mag vielleicht der Kreis der Familie reichen, vielleicht verfügen einige auch über echte Freunde, aber insgesamt ist davon auszugehen, dass nach wie vor ein Großteil der Hochbegabten ein eher einsames und unglückliches Dasein führt.

    Ich lade jedenfalls jeden Qualifizierten ein, der von mir gegründeten informellen Vereinigung Prudentia beizutreten.

  • Auch sind Professoren in der Regel keineswegs daran interessiert, hochbegabte Studierende oder Absolventen als Mitarbeiter zu gewinnen, teilweise auch, weil sie diese als Konkurrenten betrachten.

    Das würde ich so nicht erwarten. Gibt es für diese Behauptung tatsächlich irgendwelche Nachweise oder Erfahrungsberichte?

    Abgesehen davon ist es mehr als verständlich, dass Hochbegabung alleine nicht für irgendeine Art von Anstellung ausreicht bzw. ausreichen sollte. Von einem Mitarbeiter erwartet man sich in erster Linie, dass er die Eigenschaften aufweist, die notwendig sind, um die an ihn gestellten Aufgaben zu erfüllen. Im Wissenschaftsbetrieb sind das vermutlich Fähigkeiten die das Verfassen von Publikationen und das Schreiben von Projektanträgen betreffen, sowie Kommunikationsfähigkeit. Ob diese oder andere Fähigkeiten positiv oder negativ mit dem IQ korrelieren, kann ich nicht abschätzen.

  • Lieber calculator:

    Ich nehme an, wir sind einander noch nie persönlich begegnet, so dass du dir kein Bild von meiner Person machen konntest. Ob du mir glaubst oder nicht, ich bin nicht der Typ, der einfach irgend eine Behauptung ohne jegliche Grundlage in den Raum stellt.

    Wie überall auf dieser Welt ist man auch an der Universität vor allem an Mitarbeitern interessiert, die genau das können, wozu man sie braucht, nicht weniger und im Idealfall auch nicht mehr, und bereit sind, für möglichst geringe Entlohnung zu arbeiten.

    Wie du selbst schreibst, stellt eine Hochbegabung im Sinne eines hohen Intelligenzquotienten alleine noch keine Qualifikation dar. Sie ermöglicht es aber demjenigen, der über sie verfügt, sich relativ rasch in für ihn neue Materie einzuarbeiten, auch wenn sie kompliziert ist. Traurig ist aber, dass ich als Student kein Interesse von seiten irgend welcher Professoren wahrnehmen konnte, sich mit einem hochbegabten Studenten zu beschäftigen und ihn auszubilden, damit er etwas aus seiner Begabung machen kann. Anders gesagt, Hochbegabte werden an der Universität nicht gefördert. Die Uni ist in Österreich ein Massenbetrieb, und jeder ist auf sich selbst gestellt und muss selbst zusehen, dass er im System weiterkommt.

    Arbeitgeber haben in der Regel ein Profil und suchen sich ihre Mitarbeiter danach aus, wie sehr sie diesem Profil entsprechen.

    Arbeitgeber sind hingegen in der Regel nicht daran interessiert, einen Menschen in seiner ganzen Individualität als Person kennen zu lernen und dann mit ihm gemeinsam zu ergründen, für welche Tätigkeit er am besten geeignet wäre, oder einen Karriereplan auszuarbeiten.

    Ich persönlich hatte das Glück, durch einen Verein einen habilitierten Mediziner und Pharmazeuten kennen zu lernen, der bereit war, sich als Mentor mit mir zu beschäftigen. Wir entwickelten ein freundschaftliches Verhältnis und brachten mehrere gemeinsame Publikationen in "peer-reviewed journals" heraus.

    Wenn ich schreibe, dass man an der Uni nur ein äußerst geringes Interesse hat, Hochbegabte als Mitarbeiter zu gewinnen, dann spreche ich nicht nur aus meiner eigenen Erfahrung, sondern auch aus der, die mein Freund und Mentor gemacht hat, denn er war selbst hochbegabt und hat in seiner akademischen Karriere immer wieder (seiner Meinung nach wegen dieser Hochbegabung) Benachteiligungen erlitten.

  • Danke für die Klarstellung und den tieferen Einblick in deine Erfahrungen! Und nein, wir kennen uns meines Wissens nicht persönlich.

    Prinzipiell stimme ich dir auch bei einigen Punkten zu. Auch ich habe viele Lehrveranstaltungen als kognitiv zu wenig fordernd empfunden, bzw. hatte ich das Gefühl, Lehrveranstaltungen abschließen zu können ohne irgendetwas (sinnvolles) dabei gelernt zu haben. Aber wenn du behauptest, Hochbegabte werden nicht gefördert, klingt es für mich so, als ob du erwarten würdest, dass Professoren auf Leute mit entsprechend hohem IQ zukommen und bitten sollten, mit ihnen zu arbeiten. Aber so eine Sonderbehandlung sollte es nicht geben, denn es gilt immer noch gleiches Recht für alle - und du stimmst mir sicher zu, dass es sicher nicht fair wäre, diejenigen zu benachteiligen, die zwar genauso fähig zu einer akademischen Laufbahn sind, aber aus welchen Gründen auch immer nicht gut im Absolvieren von Intelligenztests sind. Anders formuliert: Wenn man die nötige Eigeninitiative, Motivation und Kompetenz aufweist, glaube ich nicht, dass irgendjemand von Professoren oder dem Bildungssystem daran gehindert wird, eine akademische Laufbahn erfolgreich einzuschlagen - und zwar unabhängig vom IQ dieser Person. Gleichbehandlung aller entspricht nicht automatisch einer Benachteiligung der Hochqualifizierten.

    Da ich vermutlich selbst nicht hochbegabt bin - ich habe nie einen IQ Test abgelegt - kann ich deine Erfahrungen nicht teilen. Meine Erfahrung jedenfalls ist, dass es durchaus möglich ist, während des Studiums (vor allem durch Bachelor- und Diplomarbeiten) mit Professoren zusammenzuarbeiten, und dass man von diesen auch unterstützt wird, um z.B. die von dir erwähnten Publikationen zu verfassen. Es kommt dabei halt vor allem auf Eigeninitiative an, geschenkt wird einem natürlich nichts.

  • Nur kurz ein paar Ausführungen, was Hochbegabung eigentlich bedeutet.

    Hochbegabung war in Österreich bis Ende der 1990er Jahre kein Thema.

    Die Normalbevölkerung verwechselt Hochbegabung in der Regel mit Hochleistung in der Schule. Schüler mit guten Noten, die sich scheinbar beim Lernen leicht tun, werden für hochbegabt gehalten. Da man ein gutes Gedächtnis braucht, um in der Schule gut zu sein, wird Hochbegabung auch oft für eine besonders ausgeprägte Merkfähigkeit gehalten ("fotografisches Gedächtnis").

    Die Realität ist, dass die meisten laut IQ-Test Hochbegabten, die ich kennen gelernt habe, durchschnittliche oder sogar eher unterdurchschnittliche Schüler waren.

    Es gibt verschiedene IQ-Tests, denen unterschiedliche Intelligenzmodelle zugrunde liegen. Das von mir persönlich bevorzugte Intelligenzmodell ist das Intelligenzmodell von Spearman (https://de.wikipedia.org/wiki/Intellige…ie_von_Spearman). Zur Messung der fluiden generalisierten Intelligenz ("fluid g") eignen sich insbesondere kulturunabhängige Matrizentests wie Raven's Advanced Progressive Matrices (RAPM). In diesem Test gelang es mir beispielsweise anno 2004, innerhalb des Zeitlimits von 40 Minuten 31 von 36 Aufgaben zu lösen, was laut offizieller Norm einem IQ im Bereich der Hochbegabung entsprach. Im Internet gibt es seit einigen Jahren einen ähnlichen Test, den man gegen eine Gebühr von rund EUR 50 online absolvieren kann (Fiqure, https://testmyintelligence.com/). In diesem Test konnte ich innerhalb des vorgegebenen Zeitlimits 47 von 50 Aufgaben lösen, was einem IQ von 160 entspricht (vier Standardabweichungen über dem arithmetischen Mittel; Hochbegabung beginnt per definitionem bereits bei zwei Standardabweichungen über dem arithmetischen Mittel, Höchstbegabung bei drei Standardabweichungen über dem arithmetischen Mittel).

    Meiner Auffassung nach sind zwei Fähigkeiten für das Lösen von solchen Tests relevant: Einerseits die Fähigkeit, Hypothesen zu entwickeln, wie eine Aufgabe gelöst werden könnte. Andererseits logisch-deduktives Denkvermögen, um zu überprüfen, ob eine Hypothese tatsächlich funktioniert.

    Ich selbst habe zwei eigene Tests entwickelt, welche diese Fähigkeiten getrennt zu messen versuchen. Offiziell habe ich diese Tests nicht als Intelligenztests bezeichnet, weil mir das als Laien nicht zusteht. Meine Tests sind hier zu finden:

    Volko Test of Deductive Reasoning: http://logic.cdvolko.net/

    Volko Test of Original Thinking: http://hugi.scene.org/adok/prudentia/pru_j05.pdf

    Der erste Test ist bereits seit einigen Jahren online und mittlerweile anhand der Ergebnisse von fast 4000 Probanden normiert. Der zweite Test ist hingegen ganz neu und noch unerprobt.

    Intelligenz bzw. Hochbegabung hat in diesem Sinne also weniger mit einem guten Gedächtnis zu tun als einfach mit der Denkfähigkeit und der Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen und Beobachtungen richtig zu interpretieren.

  • Noch kurz zu meiner Person:

    Mir geht es zwar nicht nur speziell um mich, sondern um alle Hochbegabten, aber da geschrieben wurde, dass es nicht nur auf die Intelligenz, sondern auch auf die fachliche Qualifikation ankommt, sei gesagt, dass ich mich nach dem Bachelorstudium der Medizinischen Informatik aus fachlichem Interesse für das Masterstudium Computational Intelligence entschieden und mich im Rahmen dieses Studiums auf Algorithmen, Formale Logik und Theoretische Informatik spezialisiert habe. Obwohl dieses Masterstudium als besonders anspruchsvoll gilt, habe ich es aufgrund meines fachlichen Interesses in der Mindeststudiendauer absolviert und sogar mit Auszeichnung abgeschlossen.

    Zudem verfüge ich über sehr gute Englischkenntnisse in Wort und Schrift.

  • Ich muss sagen, das war schon ein etwas pessimistischer Thread von mir. Meine damalige Sicht der Dinge war durch meinen mittlerweile verstorbenen Kollegen Dr. Uwe Rohr (Mediziner und Pharmazeut) beeinflusst, mit dem ich wissenschaftlich zusammen gearbeitet habe und der immer darüber geklagt hat, dass ihn seine Kollegen nicht leiden könnten, weil er hochbegabt sei. Inzwischen sehe ich die Dinge anders. Wer was kann, wird gebraucht, egal ob hoch- oder normalbegabt.

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