Zwei Fragen zum Thema Moral

  • Ich muss zugeben, ich finde dieses Video problematisch. Ich sehe es als Pamphlet gegen Allgemeinbildung und es stellt körperliche Fähigkeiten über geistige.

    Ich sehe immer wieder, wie viele Menschen etwa Probleme damit haben, schriftlich verständlich ihre Anliegen zu formulieren, oder nicht wissen, wie viel ein Produkt mit einem Normalpreis von 10 Euro kostet, wenn es um 25 Prozent verbilligt ist. Diesen Leuten redet dieses Video ein, dass diese Fähigkeiten ohnehin nicht so wichtig seien: Mach das, was dir Spaß macht... aber das, was im Deutschunterricht vorkommt, braucht man doch im Leben nicht.

    Naja, das sehe ich nicht ganz so dramatisch und für mich ist auch die Message des Videos eine andere:


    • Einerseits ist es ja nicht so, dass sich die Leute alle nicht wirklich anstrengen oder reinhängen würden, um besser zu werden. Es gibt wirklich viele Leute, die in einem oder mehreren Fächern Verständnisprobleme/Lernschwächen haben. Selbst wenn die Leute es durch die Schule schaffen, werden sie i.A. nicht wirklich gute Noten in ihren Problemfächern haben.
    • Andererseits gibt es, wie oben schon genannt, auch eine Reihe anderer Gründe im Umfeld, die zu schlechten Noten oder Schulabbruch führen können. Prügelndes Elternhaus, Mobbing, Depression, psychisch kaputte Lehrer, etc.

    Wenn du dich zurück erinnerst: Als Kind und Jugendlicher wird einem permanent von allen Seiten eingehämmert, wie wichtig gute Noten nicht für das zukünftige Leben sind. Dass man gute Noten und einen Abschluss braucht, damit man später die Möglichkeit hat, das zu tun was man will. Nicht (nur) von Eltern, auch von Lehrern, Mitschülern, Verwandten, Fernsehen, Radio, usw.

    Und dieses Mindset, dass man ohne gute Noten oder gar ohne Schulabschluss sein Leben eigentlich schon weggeworfen hat.. egal in welchen Fächern, egal aus welchen Gründen.. das ist in meinen Augen, wogegen sich dieses Video richtet. Und das aus meiner Sicht zurecht. Ich kenne inzwischen viele Leute, die komplett quer in ihre Berufe eingestiegen sind. Leute, die wegen Physik aus der Schule geflogen sind. Leute die die Schule aus psychischen Gründen die Schule komplett abgebrochen haben.

    Fakt ist hingegen einfach - und auch hier stimme ich voll mit dem Inhalt des Videos überein - dass in eigentlich allen Berufen nur eine kleine Zahl an Schulfächern wirklich Relevanz für dich haben werden.

    Dinge, die für mich als Informatiker praktisch keine Relevanz haben: Geschichte, Geografie, Sport, Bildnerische Erziehung, Biologie, Latein, Musikerziehung, Philosophie/Psychologie, Chemie, Religion, Werkerziehung, Französisch und Physik auch eher nur eingeschränkt.
    Relevant: Deutsch, Englisch, Mathematik, Informatik und eingeschränkt Physik.

    Wie gesagt, für mich wendet sich das Video in erster Linie gegen diese "Du brauchst einen guten Notenschnitt sonst wirst du es nie zu was bringen"-Indoktrination.

    Damit das jetzt nicht falsch verstanden wird: Ich bin sehr wohl für Allgemeinbildung. Aber nicht um jeden Preis. Dass Leuten ein Schulabschluss verweigert wird, weil sie ein Nebenfach wie Geschichte, Chemie oder Geografie nicht schaffen, ist mir unverständlich. Warum zur Hölle hindert mich ein Fetzen in z.B. Geschichte, den ich mir beim Nachzipf nicht ausbessern kann, am Weiterkommen in _allen_ anderen Fächern für ein komplettes Jahr? Ja, es gibt eine Aufstiegsklausel, aber die ist vom Gutdünken des Lehrkörpers abhängig und eigentlich auch ziemlich unelegant.
    Warum wird der Unterricht statt nach Jahrgängen nicht zum Beispiel nach Fächern aufgeteilt, und in Fächern, in denen man gut ist, kann man weitermachen, und in Fächern wo man Defizite hat, muss man noch mal rein? Mit Constraints, dass man z.B. in so und so vielen Nebenfächern die letzte "Stufe" abschließen muss und in den anderen zumindest Schulstufe xy. Das ließe sich vielleicht sogar teilweise fließend zum Studium überleiten, wenn man Nebenfächer, die nicht studienrelevant sind, neben dem Studium abschließen kann, solange man schon <Studiumsauflagen> Fächer abgeschlossen hat (zum Beispiel eben Deutsch, Englisch, Mathematik, Informatik, Physik für klassische Informatik).

    Und, um auf dein Beispiel zurück zu kommen: Jetzt mal ehrlich: Glaubst du, die Leute können keine 25% von 10 Euro abziehen, weil sie in der Schule faul waren oder ihnen eingeredet wurde, dass sie das nicht brauchen? Ich denke nicht. Ich denke eher, dass die Leute einfach Probleme mit Zahlen und Kopfrechnen haben. Was bringts, wenn man sie jetzt dreimal in der Schule durchfallen lässt, weil sie keine 25% von 10 Euro abziehen können? Das hilft doch keinem was. Viele Leute schaffen es nicht, viele Leute sind sehr schlecht im Kopfrechnen, sind dafür aber etwa sehr gut in Sprachen. Viele Leute sind schlecht in Englisch, dafür gut in Mathe und Physik (als Beleg hierfür möchte ich sämtliche "englischsprachig abgehaltenen" LVAs der TU anführen :D). Das für mich perverse am Schulsystem ist aber: Die Leute die wegen oBdA. Mathe nicht weiterkommen aber gut und interessiert in/an Englisch wären, dürfen sich dann aber über das Schulsystem weder in Englisch noch irgendeinem anderen Fach weiterbilden.

    P.S.: Ich erkenne auch keine Höherstellung von körperlichen Fähigkeiten über geistige. Am Anfang kam ein Vergleich von Sportlern zu Sportlern. Im Gegenteil: Danach kamen auch Beispiele wie "der krasseste Macker in Mathe, aber eine Katastrophe in Sport" oder "gut in Bio, schlecht in Kunst"

  • Echt, Psychologie brauch ich jeden Tag, sonst koennt ich Entscheidungen des Managements schwieriger vorhersagen/elegant umschiffen :D

    Aber dem Rest stimm ich zu.

    Man sollte ueberall Grundfertigkeiten haben, aber gerade Geschichte zum Beispiel: Da gehoert quasi null talent/verstaendnis dazu, sondern einfach nur Interesse und je nach Lehrer die Auswendiglernerei vor ner Pruefung. Ich mein, da muss man keine weiteren Faehigkeiten erwerben, ausser einfach Fakten zu memorisieren und wieder ausgeben zu koennen.

    Ueberhaupt drillt die Schule alle nur, Mittelmass zu werden. Voellig absurd.
    Wie viele Einsteins uns damit wohl bereits verloren gegangen sind, weil sich einer durch Deutsch/Englisch/Latein/... geplagt hat und deshalb keine/viel weniger Zeit hatte, seine Talente zu foerdern.

    Also, Basiswissen ist wichtig. Und ja, etwas wie "10€ - 25%" ist etwas, das man im Alltag beherrschen sollte, gerade bei immer steigenden Preisen im Lebensmittelsegment. (essen muessma alle, a ueberteuerte Jeans muss kein Schwein - und scho gar kein Mensch - kaufen), aber alles was darueber hinaus geht ist "nice to have", gefoerdert werden sollten aber die Staerken.

    Und falls man spaeter tatsaechlich drauf kommt, dass die eigene Staerke zwar Mathe ist, aber einem Deutsch irgendwie total gefaellt, auch wenn man sich da total schwer getan hat, dann entscheidet man DANN um und orientiert sich gegebenenfalls neu (und behebt etwaige, noch immer bestehende, defizite). Auch weil ichs aufgrund psychologischer Effekte fuer unwahrscheinlich halte - Menschen machen gerne das, worin sie gut sind, ist das jedenfalls kein Grund, Menschen jahrelang auf Mittelmass zu trimmen.

    Einmal editiert, zuletzt von Vendredi (31. August 2017 um 08:25)

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