Ingenieure in der SW Entwicklung

  • Hallo,

    ich würde gerne ihre Meinung dazu hören. Ich bin Informatiker vom Beruf und arbeite im Automotiv Bereich, wo auch viele Ingenieure arbeiten. Mir ist eins aufgefallen, wo ich reine IT-Entwicklung gemacht habe z.B. Entwicklung von Tools, aber auch die Entwicklung von Applikationen für Embedded-Systeme ist mir leicht gefallen. Dann habe ich eine Tätigkeit gehabt im Bereich E-Fahrzeuge (Ladesysteme etc.), und hier als Informatiker war ich total überfordert, Begriffe wie: Impedanz, komplexe Ströme, PFC, H-Brücken, Resonatoren, duty cycle, Magnetismus, Induktionen etc. waren für mich eher fremd. Ich dachte, wenn E-Techniker, Maschinenbauer sich in die Software-Entwicklung einarbeiten können, kann ich es auch lernen. Tja, es war aber nicht der Fall, es war zu anstrengend und zu viele Grundlagen in Mathe und Physik haben mir gefehlt.
    Dann die Funktionsentwicklung z.B. von Regler, physikalische Modelle aufzubauen, Simulationen, sogar Maschinen Learning, wird von Ingenieuren gemacht. dort werden eigentlich nur Ingenieure gesucht, den Informatikern wird es nicht zugetraut, diese Algorithmen zu entwickeln.

    Ich frage mich, ist die Ausbildung im Studium von Informatikern richtig aufgebaut? ist der Informatiker nur für die Entwicklung von Business Software zuständig? Warum kann sich der Ingenieur schneller in IT einarbeiten als Informatiker in Ingenieur-Tätigkeiten?

    Grüße

  • Interessantes Thema. Ich habe mir selbst oft ähnliche Fragen gestellt und ob Elektrotechnik oder technische Mathematik eine bessere Wahl gewesen wäre.

    Andererseits muss man sagen - bissl Softwareentwicklung kann man schnell lernen, aber bissl Elektronik basteln lehren sich auch viele Leute selbst. Aber ab einem gewissen Punkt werden beide Richtungen einfach schwerer.
    Ich habe mit vielen Elektronikern, Physikern etc. zusammengearbeitet und programmieren konnten fast alle (meistens Matlab und C). Aber ab einem gewissen Punkt war es dann doch immer vorbei. Vor allem wenn es dann z.b. in Richtung Datenbanken, Performance-Optimierung, funktionale Programmierung, cross-platform development, security etc. geht.

    In meinem aktuellen Fall schreibt einer meiner Kollegen auch die wildesten Tools in Richtung Signalverarbeitung, bei denen ich aussteigen. Aber ich habe die gesamte cross-platform-realtime-deep-learning-synthesis-engine :) "from scratch" in C++ geschrieben - und das könnte dann halt nur ich.

    Auch in meinem vorigen Umfeld war ich hauptsächlich von Elektrotechnikern umgeben, und da hieß es auch oft: wir brauchen mehr richtige Informatiker.

    Und noch einen Job davor habe ich ebenfalls für einen Elektrotechniker gearbeitet (weiß der Geier warum sich das immer so ergab :)). Und auch da war ich eine gute Ergänzung.Er meinte oft, sein ET-Wissen aus der HTL reichte eigentlich, um das ganze Zeug zu bauen - und zwischen seiner HTL und der Firma lagen ein komplettes ET-Studium inklusive Doktorat und einige Jahre im Job. Dagegen war das Am-Ball-Bleiben in der Informatik ein ständiger struggle. Allein während meines Doktorats wurde beispielsweise mein gesamtes Wissen zum Thema web-dev quasi obsolet (deswegen habe ich den Blödsinn jetzt ganz bleiben lassen ;)). C++ ist eine komplett neue Sprache, die ganzen development Prozesse haben sich komplett verändert - ich hatte danach keine Ahnung von Containern, docker, vagrant, CI, TDD, AWS, nginx, NoSQL, graph dbs, Hadoop/MapReduce, REST und was weiß ich alles... nun da ich selber eher "engineering/science"-Themen bearbeite, muss ich auch zunehmend unsere SW-Developer wegen jeder Kleinigkeit fragen.
    Beim letzten thoughtworks radar https://www.thoughtworks.com/radar habe ich mir bei 90% nur gedacht: noch nie gehört.
    Natürlich ist das alles kein Basiswissen sondern hauptsächlich Technologien die kommen und gehen, aber auch die Paradigmen ändern sich regelmäßig. Ja, OOP war lange vorherrschend gegenüber prozedural, Gang of Four Design Patterns in jeder Stellenbeschreibung. Nassi-Schneidermann wurde zu OOM. Heutzutage verwendet kaum wer noch UML. Dynamic languages waren hoch im Kurs, langsam geht man wieder etwas mehr zurück zu strong, static typing, compile-time verification. Funktionale Aspekte finden in alle mainstream Sprachen und in "neue" Sprachen wie Scala, Elixir, Clojure. Immutability wird alltagstauglich,mit ganz eigenen Herausforderungen und Auswirkungen.
    Bevor ich jetzt noch lange weiterschreibe: ich bin mir mal sicher, dass alle meine vorher erwähnten Personen mit diesen ganzen Themen nichts anfangen können...

  • Ich habe beides (ET und Inf) studiert, hier meine Einschätzung:
    ich würde Informatik keinesfalls als leichter bezeichnen. Grob gesprochen ist Inf mathelastiger und ET physiklastiger.
    Man denke nur an Dinge wie diskrete Mathematik, Algorithmen, theoretische Informatik, Mustererkennung, ... Das sind sehr komplexe Themen, da braucht man schon einiges an Hirnschmalz um da durchzublicken ;)

    Allerdings sehe ich einen gewissen Bereich der Informatik mit Skepsis: nämlich die SW Entwicklung. Das hat für mich teilweise etwas religiöses an sich. Da wird darüber diskutiert, was denn nun die "richtige" Architektur sei, und wie man dies und jenes noch "schöner" machen kann. Da wird drüber diskutiert, ob eine Funktion maximal 5 oder 10 Zeilen lange sein darf. Und dann noch die ganzen Bibliotheken, man denke nur an JS, ich finde das immer lächerlich wenn mir ein Webentwickler sagt dass man (wer ist "man"?) Problem x nicht mehr mit y löst, denn dafür gibts ja nun Technologie z die besser als alles bisherige ist. Und nächstes Jahr kommt dann Technologie z++ die dazu führt dass man alles bisherige in den Müll werfen soll/muss. Die Webdevs wissen zwar 1000 Bibliotheken auswendig, manchmal frage ich mich aber, ob die überhaupt in der Lage sind, z.B. Bubble Sort zu implementieren und die Laufzeit zu analysieren.

    Lange Rede kurzer Sinn: genau dieser Typ des "religiösen" Informatikers ist der Grund, warum Informatiker teilweise einen schlechten Ruf haben. Die unter Informatik nur Legospielen mit den bunten Technologien verstehen.
    Diejenigen, die tatsächlich was von der Materien verstehen sind hingegen weiterhin gesuchte Leute.

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