Mobilität, Karriere, Familie

  • Hi,

    bin gerade in diesem TUCareer-Magazin nach einer Riesenlatte an Anforderungen an den modernen Techniker auf den Satz "Mobilität und Reisebereitschaft spielen in vielen Unternehmen eine große Rolle, die Bereitschaft der Mitarbeiter/innen zu Dienstreisen und Auslandsaufenthalten hinkt aber leider immer noch hinterher" gestoßen.

    Was mir dabei übel aufgestoßen hat war das Wort "leider", das die Objektivität aus diesem Artikel nimmt.

    Sinngemäß klingt das (leicht übertrieben) für mich nach: "Leider sind unsere Absolventen noch keine optimal für den Arbeitsmarkt herangezüchteten Arbeitstiere, die ihre Seele an ihre Firma verkaufen".
    Nicht wegen der Reisebereitschaft an sich, sondern eigentlich machts für mich einfach dieses "leider" aus ;).

    Klar, früher habe ich mir auch vorgestellt - sitzt dann irgendwann in irgendeiner coolen Firma in England, 70-80h hackeln ist kein Problem, man will ja "gut" sein.

    Inzwischen bin ich verheiratet, Kinder sind auch nicht mehr allzusehr in der Ferne, ich habe schon diverse physische und psychische Belastungserscheinungen weil ich immer versuche, in Arbeit, Uni, Privatleben etc. alles möglichst richtig und perfekt zu machen. Ich bin ein gern gesehener Gast bei Physiotherapeuten (mehr oder weniger) :).

    Sportliche Betätigung, 8h+ Schlaf und Freizeit sind tolle Dinge, die aber immer auf Kosten der "Karriere" gehen und dementsprechend kurz kommen.

    Und nun sagt mir dieses Heftchen, dass das natürlich nicht genug ist - technische Exzellenz ist selbstverständlich. Ich solle doch noch Networking betreiben, Workshops für Softskills besuchen, Wirtschaftszusatzausbildung machen und dann in nicht ferner Zukunft regelmäßig ~3 Monate lang verpassen, wie mein Kind aufwächst?

    Werde ich damit glücklich? Oder werden damit nur ein paar massiv kapitalistisch orientierte Managertypen befriedigt, die auf ihren Geschäftsreisen ständig ins Puff gehen müssen, weil sie entweder persönlich oder aufgrund der Karriere unfähig zu einem gesunden Familienleben geworden sind?

    Ich habe nichts gegen Karriere, ich habe nichts gegen Leistung - ich beschäftige mich selbst gerne viel zu viel mit meiner Arbeit und bin eigentlich praktisch jedes Wochenende entweder am arbeiten für Diplomarbeit oder für meinen Arbeitgeber. Und es ist noch ok.

    Aber wo soll das hinführen?
    Die eine Hälfte der Gesellschaft ist arbeitslos weil sie die Anforderungen nicht erfüllt (und kassiert gemeinsam 1400€ Mindestsicherung - weit mehr als das von dem wir dzt. leben), die anderen ackern 90h-Wochen?
    Mit Massage-Auflage, Elektrostimulationsgerät, Ultraschall- und Infrarotbestrahlung, Reflexzonenmassage etc. im Sesseln eingebaut?

    Oder sind diese ganzen Karriere-Guides einfach nur Hirngespinste und feuchte Träume von Personalmanagern, die nun enttäuscht sind, dass diese nicht erfüllt werden - und dann die entsprechenden Schuldigen mit einem "leider" attributieren?

    Wird so heiss gegessen wie gekocht wird? (ich vermute mal, mein Arbeitgeber hat auch Verständnis für Familie und Freizeit..)

    Wie sieht es mit den diversen "neuen" Work-Life-Balance-Gschichtln aus?
    Betriebskindergarten, Wellness-Centers, Coaches etc. wirklich sinnvoll oder nur eine Ausrede, dass der Arbeitnehmer praktisch gleich mit Kind, Hund und Krankheiten komplett in die Firma einziehen kann?

    Oh, natürlich habe ich jetzt ein schlechtes Gewissen, weil ich eigentlich noch soviel arbeiten sollte statt hier zu posten...

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