Die Linke ist nicht menschenfreundlich.

  • Oft wird gesagt, die politische Linke wäre im Vergleich zu ihren Mitbewerbern "menschenfreundlich". Aber ist sie das wirklich?

    Die Linke wird oft mit staatlichen Sozialleistungen für Bedürftige in Verbindung gebracht. In der Tat sind das Dinge, die menschenfreundlich sind. Nur ist das nicht die Essenz linker Politik. Die Essenz linker Politik besteht darin, alle Menschen zu zwingen, einer Arbeit nachzugehen. Wem das Ganze nützt? Dem Staat, der von den erbrachten Steuern lebt.

    Warum wird oft gesagt, gut sei, was dem "Gemeinwohl" nutze, und diejenigen, die dafür eintreten, dass der einzelne Erwerbstätige mehr von seinem Einkommen hat, seien die Bösen? Mir kommt das wie eine Pervertierung der Realität vor.

    Die Linke tritt für einen "modernen" Staat ein, in dem es in der Gesellschaft keine Hierarchien mehr gibt, sondern alle in gleicher Weise in den Arbeitsprozess eingebunden sind. Gut daran mag sein, dass durch das Eliminieren der gesellschaftlichen Hierarchien auch der Neid eliminiert wird. Aber ist es wirklich so viel besser als in einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft, dass alle Einwohner eines Landes im Prinzip reine Arbeitssklaven sind und niemand mehr über ein ansehnliches Privateigentum verfügt? Warum sollte nur der Staat über die Mittel verfügen, um ehrgeizige Projekte umsetzen zu können?

    In den USA verfügen einzelne Privatpersonen wie Bill Gates, Mark Zuckerberg oder Elon Musk über beträchtliche finanzielle Ressourcen, mit denen sie Projekte durchführen können. Wäre es nicht schön, wenn es solche Leute auch in Österreich gäbe?

  • Oft wird gesagt, die politische Linke wäre im Vergleich zu ihren Mitbewerbern "menschenfreundlich". Aber ist sie das wirklich?

    Kein Extremum ist per se menschenfreundlich. Es kommt eben wieder auf die einzelne Abstufung an.


    Die Essenz linker Politik besteht darin, alle Menschen zu zwingen, einer Arbeit nachzugehen. Wem das Ganze nützt?

    Ist das denn im Kapitalismus anders? Sind Extrema nicht immer ziemlich ähnlich, egal ob rechts oder links? Im "Turbokapitalismus", wo der Sozialstaat keinen Platz hat, wäre man auch gezwungen einer Arbeit nachzugehen, nur, dass es hier keine Reglementierung gäbe, die sicherstellt, dass jeder Arbeitssuchende auch eine Arbeit bekommt (oder eine Ausbildung, die ihm eine solche eher ermöglichen würde).

    Wer würde hier gewinnen? Statt dem einen, monopolistischen "Arbeitgeber" Staat - wie in deiner linken Dystopie - wären es dann eben Oligarchen bzw. "der Markt" der Angebot und Nachfrage reglementiert. Das mag in der Theorie - ebenso wie "linke Spinnereien" - gut funktionieren, mit der Realität hat das allerdings freilich wenig zu tun. Auch in Zukunft würde der Markt - das traue ich mich wetten - keine Vollbeschäftigung ermöglichen, auch wenn sich völlig selbst überlassen.

    Cui bono? Irgendjemand bestimmt :)


    Dem Staat, der von den erbrachten Steuern lebt.

    Was genau ist "der Staat" eigentlich? Es ist ein solch abstraktes Gebilde, über das jeder gerne herzieht, das aber im Grunde aus all seinen Bürgern besteht. Klar, da gibt es die Beamten und den (riesigen) Verwaltungsapparat, von dem man sich schonmal schikaniert vorkommen kann (etwa, wenn man zweimal mit unterschiedlichen Namen aber selber Sozialversicherungsnummer im ZMR eingetragen ist und deshalb vom Finanzamt sein Geld über Monate hinweg nicht bekommt :rolleyes:), aber im Grunde ist der Staat doch nur so mächtig, wie ihn die Bürger werden lassen.

    Was ich damit sagen will: Der Staat kann als Firma interpretiert werden. Wenn dessen Mitarbeiter in überwiegender Anzahl nicht mehr "mitspielen", dann gibt es auch den Apparat nicht mehr.

    Außerdem gibt es diesbezüglich auch in "der Linken" (oder der Rechten) keine einheitliche Meinung, wie viel Kompetenzen ein Staat haben sollte, wieweit er sich in das Privatleben einmischen darf etc.

    Manchen Linken geht es lediglich darum, dass auch für arme Menschen gesorgt wird, andere wollen Privatvermögen generell abschaffen -> doch sehr unterschiedliche Zielvorstellungen, die aber unter dem Sammelbegriff "die Linke" zusammengefasst wird.

    Menschen neigen einfach dazu, in Schubladen zu denken, leider.


    Warum wird oft gesagt, gut sei, was dem "Gemeinwohl" nutze, und diejenigen, die dafür eintreten, dass der einzelne Erwerbstätige mehr von seinem Einkommen hat, seien die Bösen? Mir kommt das wie eine Pervertierung der Realität vor.

    Weil die Realität nun einmal zeigt - Achtung, Freidenker-Alarm ;) (Subjektive Meinung)! -, dass Menschen den Hals nie voll bekommen und es nun einmal in keinem Verhältnis steht, dass einzelne Menschen das millionenfache Vermögen von anderen haben, weil sie zufällig auf die Butterseite des Lebens gefallen sind, oder Glück hatten, ODER durch ihr Können glänzten. Dass es Unterschiede gibt, finde ich völlig in Ordnung, allerdings müssen diese in einem gewissen Rahmen bleiben, auch um die Macht(gier) Einzelner einschränken zu können.

    Aus meiner Perspektive heraus ist es nämlich so: Je mehr Geld man hat, desto einflussreicher wird man. (Ausnahmen bestätigen die Regel)

    Das sah man ja schon im antiken Griechenland, wo nur reiche Händler Politiker wurden, weil die es sich eben leisten konnten und die Gesetze dann auch so gestaltet wurden, dass sie am ehesten davon profitieren.


    Die Linke tritt für einen "modernen" Staat ein, in dem es in der Gesellschaft keine Hierarchien mehr gibt, sondern alle in gleicher Weise in den Arbeitsprozess eingebunden sind. Gut daran mag sein, dass durch das Eliminieren der gesellschaftlichen Hierarchien auch der Neid eliminiert wird.

    Neid kann in meinen Augen nicht eliminiert werden. Bin ich nicht neidisch auf das Einkommen/Vermögen meines Nachbarn, dann eben darauf, dass seine Ehefrau besser aussieht als meine, sein Rasen schöner ist, etc. pp


    Aber ist es wirklich so viel besser als in einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft, dass alle Einwohner eines Landes im Prinzip reine Arbeitssklaven sind und niemand mehr über ein ansehnliches Privateigentum verfügt? Warum sollte nur der Staat über die Mittel verfügen, um ehrgeizige Projekte umsetzen zu können?

    Ist es denn heute anders? Ja, ist es. Es gibt ein paar wenige Leute, die keine reinen Arbeitssklaven sind. Spätestens wenn man eine Familie gründet und plötzlich nicht mehr nur für sich selbst verantwortlich ist, ist man quasi immer "Arbeitssklave" in unserer heutigen Welt. Ausgenommen natürlich man hat ein derart großes finanzielles Polster, dass man sich über ein wie auch immer geartetes Einkommen keinerlei Gedanken zu machen braucht. (oder dies zum jeweiligen Zeitpunkt jedenfalls glaubt)


    In den USA verfügen einzelne Privatpersonen wie Bill Gates, Mark Zuckerberg oder Elon Musk über beträchtliche finanzielle Ressourcen, mit denen sie Projekte durchführen können. Wäre es nicht schön, wenn es solche Leute auch in Österreich gäbe?

    Das kommt ganz alleine auf die Projekte und deren Zielsetzung an. Natürlich bin ich auf Leute wie die von dir genannten neidisch und das ist kein schöner Zug von mir. Allerdings macht es mir viel mehr Angst, dass ein paar wenige Leute quasi die (monetäre) Welt kontrollieren bzw. derart beeinflussen können.

    Dass es löbliche Ausnahmen gibt, finde ich gut, allerdings stelle ich mir schon - ganz allgemein - die Frage, ob ein Herr Gates wirklich die Milliardenfache (!) Leistung eines anderen Informatikers erbracht hat.

    Und ja, ich habe eine verquere Sicht auf den Kapitalismus, aber eigentlich nahm ich schon an, dass er - ist das doch ein Hauptargument - den Fleiß und die erbrachte Leistung in einen gewissen Rahmen bringt. Nun müsste dieser Prämisse folgend Herr Gates in jungen Jahren quasi Milliarden mehr Stunden gehabt haben um zu einem solchen Vermögen zu kommen.

    Genau das ist es, was mich bei diesen "Kapitalismus vs. Sozialismus"-Geschichten so stört, nämlich, dass beide immer versuchen so dazustehen, als wären sie alternativlos und FAIR. Und dieses letzte Attribut sehe ich bei beiden Extrema nicht.

    Einmal editiert, zuletzt von Vendredi (1. Oktober 2016 um 10:36)

  • Nun, ich habe mir jetzt Gedanken gemacht, wie eine "Neue Linke" aussehen könnte.

    Was ich oben geschrieben habe, bezog sich auf die alte, marxistische Linke. Das ist nicht mit der "Neuen Linken" zu verwechseln, die ich im folgenden Aufsatz skizziere:

    Grundlagen einer Neuen Linken

    Viel Spaß beim Lesen! Kommentare sind natürlich willkommen.

  • Grundlagen einer Neuen Linken

    Claus D. Volko, Wien, September 2018


    Einleitung

    Die politische Linke – was immer das auch sein mag; wir werden uns einem Versuch einer Definition später widmen – steckt in einer Krise, und das schon seit geraumer Zeit, in etwa seit dem Fall der Berliner Mauer 1989. Durch den Zusammenbruch des Ostblocks verbreitete sich in der Bevölkerung die Ansicht, die Lehren Karl Marxens seien endgültig widerlegt; der Sozialismus sei gescheitert, es habe sich erwiesen, dass er nicht funktionieren kann. Zwar war der Marxismus historisch gesehen keineswegs die einzige Spielart des Sozialismus, die es gegeben hat, aber aus irgendeinem Grund hatte er sich innerhalb der politischen Linken weitgehend durchgesetzt – vermutlich deswegen, weil er von allen Spielarten die radikalste war. Diese marxistische Monokultur hat dazu geführt, dass nach dem Fall der Berliner Mauer in den Augen vieler Beobachter der Sozialismus als Ganzes widerlegt war. Es stellte sich nur die Frage, welche Alternativen die Parteien der Linken, die sich stets als die Vertreter der Interessen der Arbeitnehmer gegeben haben, nun hätten. In Österreich war zwar auch in den Neunziger Jahren noch eine Partei an der Macht, die sich zunächst sozialistisch nannte, aber keineswegs mehr marxistische Politik betrieb; schließlich gehört zur Marx‘schen Lehre auch die „Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln“, das heißt die Verstaatlichung sämtlicher Betriebe. Was die SPÖ in den Neunziger Jahren tat, war aber das genaue Gegenteil: Es kam zur Privatisierung zahlreicher Staatsbetriebe. Dies war der Grund, warum Bundeskanzler und Parteiobmann Vranitzky entschied, die SPÖ müsse umbenannt werden: von „sozialistisch“ in „sozialdemokratisch“. Was aber nun der genaue Unterschied zwischen „Sozialismus“ und „Sozialdemokratie“ sei, blieb offen. Einzig die Abkehr von der orthodoxen marxistischen Lehre war ein Faktum, das nicht zu leugnen war.

    Die Krise der politischen Linken stellt sich aus meiner Sicht eben so dar, dass man zwar nicht länger bereit ist, die Marx‘schen Lehren nachzuvollziehen, aber sich noch kein neues Fundament gebildet hat, das in der Lage wäre, eine Bewegung zu tragen, die sich der Vertretung der Interessen von Arbeitnehmern verschrieben hat. Hinzu kommt, dass die politische Rechte – seien es pro-kapitalistische Intellektuelle, seien es Nationalisten; wie ich später erklären werde, ist auch der Begriff der politischen Rechte keineswegs einheitlich – weitgehend die Meinungsführerschaft in den Printmedien übernommen hat. Hier in Österreich beispielsweise haben sich viele Menschen von den Ansichten eines Andreas Unterberger verführen lassen; unter dem SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann war dieser Mann sogar Chefredakteur der Wiener Zeitung, dem offiziellen Organ der Republik. Gab es im Lager der Linken denn keinen Mann mit vergleichbaren Fähigkeiten, dass ein Mensch wie Unterberger unter einem SPÖ-Kanzler Chefredakteur der Wiener Zeitung werden konnte? Ich vermute, dass nicht nur ich mir diese Frage gestellt haben werde.

    Dieser Text soll einen Versuch darstellen, der politischen Linken als Interessenvertretung der erwerbstätigen Bevölkerung neue Grundlagen zu geben. In diesem Zusammenhang mag sich manch einer freilich fragen, welche Beziehung der Autor denn zur politischen Linken habe. Zunächst einmal sei gesagt, dass der Autor selbst erwerbstätig ist, somit zur Zielgruppe der politischen Linken gehört, als akademisch gebildeter und sehr belesener Mensch aber auch über das intellektuelle Rüstzeug verfügt, um in der Politik selbst eine führende Rolle spielen zu können. Drei Generationen der Vorfahren des Autors waren in der Sozialdemokratie engagiert. Verschiedene Umstände haben dazu geführt, dass der Autor selbst derzeit Mitglied der Partei NEOS ist. Diese Partei ist politisch nicht eindeutig als „rechte“ oder „linke“ Kraft zu verorten; im Allgemeinen wird NEOS von den eindeutig rechten Kräften für links, von den eindeutig linken Kräften aber für rechts gehalten. Tatsache ist, dass die Mitglieder von NEOS überwiegend aus zwei Lagern kommen: die einen sind ehemalige LIF-, die anderen ehemalige ÖVP-Wähler; es liegt nahe, dass die ehemaligen LIF-Wähler tendenziell eher als Linke, die ehemaligen ÖVP-Wähler hingegen eher als Rechte zu betrachten sind. Die Partei selbst hält sich weder für links noch für rechts, wie ihr Slogan „Nicht links, nicht rechts, nach vorn!“ zeigt; gelegentlich bezeichnet sich NEOS auch als „Partei der Mitte“ bzw. als „liberale“ Partei. Als ehemaliger LIF-Sympathisant ist jedenfalls klar, dass ich parteiintern eher dem linken Flügel zuzurechnen wäre, sollte man solche Flügel unterscheiden können. Es hat, wie gesagt, verschiedene Gründe gegeben, warum ich bei NEOS gelandet bin; eine entscheidende Rolle mag auch die Tatsache spielen, dass sich die Studierendenorganisation der SPÖ, der „Verband Sozialistischer StudentInnen Österreichs“, eben bis heute noch immer „sozialistisch“ und nicht „sozialdemokratisch“ nennt.

    Historische Entwicklung von Realität und Ideenlehre

    Wie Marx grundsätzlich richtig erkannt hat, hat es in der menschlichen Gesellschaft seit der Antike immer eine Klasse von Menschen gegeben, die über eine andere Klasse geherrscht und sie ausgebeutet hat.

    Die modernen Nationalstaaten der heutigen Zeit haben ihre Grundlage im Mittelalter. Damals handelte es sich noch um Personenverbandsstaaten. Die eigentlichen Machthaber waren die Landesfürsten, in deren Privatbesitz sich die jeweiligen Länder de facto befanden. Zu diesem Besitz gehörten auch die Menschen, die in diesen Ländern lebten – es handelte sich um Leibeigene.

    Dieses Feudalsystem schwand erst durch die Aufklärung und später durch den aufkeimenden Liberalismus des 19. Jahrhunderts dahin. Durch die Industrielle Revolution entstand in den Städten eine Arbeiterschicht, die zwar de jure „frei“ war, de facto aber lohnabhängig. Es herrschten Arbeits- und Lebensbedingungen, die hierzulande heutzutage kaum noch vorstellbar sind: Akkordarbeit zwölf bis sechzehn Stunden pro Tag, dazu Hungerlöhne, die gerade noch reichten, um zu überleben; den einfachen Arbeitnehmern war es nicht möglich, durch Sparsamkeit Kapital und Wohlstand anzuhäufen. Der nun in den Kinderschuhen steckende Sozialismus versuchte, diese wirtschaftlichen Abhängigkeiten zu mildern, womit er über den Liberalismus hinausreichte, dem es nur um die Abschaffung politischer Abhängigkeiten ging.

    Es gab nicht nur einen, sondern verschiedene Sozialismen. Man vergesse etwa nicht, dass die Ideologie der deutschen SPD primär auf Lassalle zurückzuführen ist und nicht etwa auf Marx. Dass sich später so viele Sozialisten gerade auf Marx beriefen, mag damit zusammenhängen, dass Marx der radikalste Denker von allen war. In dieser Beziehung besteht eine Parallele zum so genannten Nationalsozialismus, denn auch in der NSDAP gab es ursprünglich verschiedene Strömungen; Hitler hat sich schließlich wohl deshalb durchgesetzt, weil er der Radikalste von allen war.

    Der Nationalsozialismus hat als verbrecherische Abart des Sozialismus die Frage der Ausbeutung mit der „Rassenfrage“ verknüpft und Menschen jüdischer Abstammung unterstellt, aufgrund angeblicher genetischer Eigenheiten besonders prädestiniert zu sein, andere Menschen auszubeuten. Die Lösung dieses angeblichen Problems sahen die Nationalsozialisten in der Vernichtung der „jüdischen Rasse“.

    Nach den beiden Weltkriegen war die Welt in einen kapitalistischen Westen und einen kommunistischen Osten geteilt. Obwohl auch im Westen in einigen Ländern zeitweise sozialistische Parteien an der Macht waren, stellte kein Machthaber eines westlichen Landes die marktwirtschaftliche Grundordnung ernsthaft in Frage.

    Der „real existierende Sozialismus“ des Ostens brach in erster Linie wegen der horrenden Staatsverschuldung zusammen; die Regierungen dieser Länder waren einfach nicht mehr in der Lage, ihre Gläubiger zu bedienen. Wer jedoch glaubt, dass die friedlichen Revolutionen im Osten spontan ohne Einflussnahme des Westens zustande gekommen seien, muss schon recht naiv sein.

    Seit dem Ende des Kalten Krieges forcieren besonders die Vereinigten Staaten von Amerika die Globalisierung. Es sollen neue Märkte erschlossen, Zölle abgebaut und mit möglichst vielen Staaten Freihandelsabkommen unterzeichnet werden. In diesem Zusammenhang ist auch die Europäische Union zu sehen. Die Trennlinie zwischen den verschiedenen politischen Strömungen hat sich teilweise von „arbeitnehmerfreundlich versus arbeitgeberfreundlich“ hin zu „Globalisten versus Befürwörter nationalstaatlicher Lösungen“ verschoben, wobei diese Grenzen teilweise durch die Parteien hindurch gehen.

    Eine zweite Entwicklung der neuesten Zeit ist die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung. Die enormen Fortschritte, welche die Künstliche Intelligenz in den letzten fünf Jahren gemacht hat, werfen zahlreiche Fragen auf. Werden bald nicht nur manuell tätige Arbeiter, sondern auch Akademiker durch Maschinen ersetzt werden? Wird in Zukunft Bildung überhaupt noch vor Arbeitslosigkeit schützen? Welche Perspektive wollen wir jenen Menschen geben, die „keiner mehr braucht“? Gerade das sollten Themen sein, deren sich verantwortungsbewusste Politiker annehmen sollten. Insofern mag es auch nicht mehr ganz zeitgemäß sein, wenn sich die Linke nur auf die erwerbstätigen Menschen konzentrierte.

  • Was ist „links“?

    Meine persönliche Definition „linker“ Politik lautet: Es handelt sich um Politik, die in erster Linie der breiten Masse der erwerbstätigen Menschen zugute kommt, vor allem jener erwerbstätigen Menschen, die nicht über eigenes Privateigentum an Produktionsmitteln verfügen. In zweiter Linie handelt es sich um Politik, die die Überwindung der Gegensätze zwischen der „herrschenden“ und der „dienenden“ Klasse anstrebt: Alle Menschen sollten zumindest vor dem Gesetz gleich sein; ideal wäre es, wenn sie einander auch im realen Leben auf gleicher Augenhöhe begegneten.

    Tatsache ist, dass es im politischen Diskurs eine babylonische Sprachvielfalt gibt. Erst vor kurzem habe ich ein Buch des ehemaligen deutschen SPD-Politikers Peter Glotz gelesen, in dem dieser schrieb, dass er unter „links“ unter anderem verstünde: Eintreten für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, Demokratie statt Gewaltherrschaft, rationales Denken und Handeln. Das alles sind Dinge, für die ich als Liberaler ebenfalls eintrete und die ich bis dahin eher unter dem Begriff „Liberalismus“ eingeordnet hätte. Offensichtlich sind Begriffe wie „links“, „rechts“ und „liberal“ offenbar unscharf; es könnte ohne weiteres sein, dass jemand, der sich selbst als einen Linken begreift, in Wirklichkeit genauso denkt wie einer, der sich als einen Liberalen betrachtet, und der Unterschied nur darin besteht, dass die beiden Personen unterschiedliche Terminologie verwenden. Möglicherweise gibt es sogar per Eigendefinition „Rechte“, die in Wirklichkeit genauso denken wie unser „Linker“ und unser „Liberaler“!

    Deswegen habe ich, obwohl ich Mitglied einer „liberalen“ Partei bin, kein grundsätzliches Problem damit, auch die politische „Linke“ zu unterstützen. Denn es gibt bestimmt viele Mitglieder „linker“ Parteien, die in Wirklichkeit über Gott und die Welt ähnlich denken wie ich und es nur nicht wissen. Man vergesse zudem nicht, dass sich die Liberalen im Österreich des 19. Jahrhunderts ursprünglich „Vereinigte Deutsche Linke“ nannten.

    Grundlagen einer Neuen Linken

    Das Ende des Kalten Krieges hat, wie man oft in den Medien lesen kann, ein Zeitalter eines neuen „Neoliberalismus“ heraufbeschwört. Damit ist gemeint, dass zunehmend Kriterien wie „Effizienz“ in der Wirtschaft eine Rolle spielen; es wird versucht, Prozesse im und um das Unternehmen zu „optimieren“; die Arbeitnehmer werden als „Humanressourcen“ betrachtet, nicht als Menschen; man kann die Arbeitnehmer nach Belieben austauschen oder entlassen, wenn man sie nicht mehr braucht. Oft fällt auch das Stichwort der „sozialen Kälte“.

    Ob das wirklich eine Spielart des Liberalismus ist, wie das Wort „Neoliberalismus“ suggeriert, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass viele Kommentatoren nach dem Fall der Berliner Mauer geschrieben haben, nun sei endgültig bewiesen, dass der Sozialismus nicht funktionieren würde. Dabei wurde aber vergessen, dass die Staatsverschuldung auch in den westlichen Ländern ein großes Problem darstellt; wie vor einigen Jahren das Beispiel Griechenlands gezeigt hat, kann auch ein grundsätzlich nach marktwirtschaftlichen Prinzipien geführtes Land in Zahlungsunfähigkeit geraten und unregierbar werden. Folglich stellt sich die Frage, ob es sich beim Urteil „Der Sozialismus funktioniert nicht!“ nicht möglicherweise um einen logischen Kurzschluss gehandelt habe, zumal im Ostblock ja nur eine spezielle Form des Sozialismus, nämlich der Marx‘sche Sozialismus, verwirklicht worden ist. Das Beispiel der Volksrepublik China mit ihrem enormen Wirtschaftswachstum hat wiederum dazu geführt, dass sogar das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ vor einigen Jahren auf dem Cover die Frage stellte, ob der „Kommunismus“ möglicherweise doch „funktionieren“ würde.

    Mir scheint der Zusammenbruch des Ostblocks vielen politisch rechts gerichteten Kräften einfach ein Vorwand gewesen zu sein, um ihre Agenda durchzusetzen.

    Dabei ist anzumerken, dass „rechts“ nicht gleich „rechts“ ist. Ein Rechter kann jemand sein, der das kapitalistisch-marktwirtschaftliche System befürwortet, ohne Nationalist zu sein. Umgekehrt werden oft aber auch Nationalisten als Rechte bezeichnet, selbst wenn sie sich über den „Kapitalismus“ kritisch äußern.

    Was Rechte aber eint, ist die Ablehnung der Ansicht, dass alle Menschen (zumindest vor dem Gesetz) gleich seien.

    Somit ist klar, dass auch eine Neue Linke in erster Linie das Gleichheitsprinzip (vor dem Gesetz) forcieren muss. Dabei darf sie aber auch nicht das Prinzip der Freiheit kampflos den Rechten überlassen. Die simple Gleichung „Links ist Gleichheit, Rechts ist Freiheit“ ist zu einfach, um wahr zu sein bzw. wahr sein zu dürfen. Denn: Ungleichheit ist keineswegs gleichbedeutend mit Freiheit – im Gegenteil! Leibeigene sind schließlich alles andere als freie Menschen.

    Wenn etwa die Sozialdemokratie in Österreich die vier Werte „Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität“ an ihre Fahnen heftet, dann ist sie zumindest grundsätzlich schon auf dem richtigen Weg.

    Es genügt nicht, wenn sich die Linke als Antithese zum „Neoliberalismus“ positioniert. Man darf nicht nur gegen etwas sein, man muss auch für etwas sein. Aber: Man kann etwa argumentieren, dass „Effizienz“ nicht das Entscheidende ist; entscheidend ist vielmehr die Effektivität. Was zählt, ist, was am Ende herauskommt. Welche Mittel man zum Erreichen dieses Zweckes aufgewendet hat, ist sekundär (solange es sich um zulässige Mittel handelt). Das Bemühen um möglichst hohe „Effizienz“ und um „Optimierung“ von Arbeitsprozessen hat den Nachteil, dass es die Beteiligten unter Druck setzt, Stress erzeugt, Krankheiten hervorruft und damit die Leistungsfähigkeit der Beteiligten schwächt, so dass am Ende oftmals ein schlechteres Ergebnis herauskommt, als hätte man darauf verzichtet, sich um „Effizienz“ zu bemühen.

    Um der Betrachtungsweise von Menschen als „Humanressourcen“ etwas entgegenzusetzen, muss sich die Neue Linke über ihr eigenes Menschenbild Klarheit verschaffen; sie muss den Menschen als ein ganzheitliches Wesen wahrnehmen, zu dem nicht nur Leistungswille und Leistungsfähigkeit gehören, sondern auch Bedürfnisse, Wünsche, Sehnsüchte; Menschen verfügen sowohl über „Hirn“ als auch über „Herz“, jeder hat andere Interessen und Leidenschaften; man kann Menschen nicht nur auf Qualifikationen und Lebensläufe reduzieren. Es stellt sich die Frage, ob möglicherweise Änderungen im Schulsystem vonnöten wären, um die bisher zu kurz gekommenen Aspekte des Menschseins in den Vordergrund zu rücken.

  • Eine Neue Linke muss auch beherzigen, wofür viele Liberale (nicht „Neoliberale“!) brennen, nämlich dass die Menschen gerne die Freiheit hätten, selbstständig zu denken, sich über alles Mögliche eigene Gedanken zu machen und diese auch zu äußern, zu Papier zu bringen oder mit anderen Menschen darüber zu diskutieren. Es darf nicht sein, dass Meinungsfreiheit nur innerhalb eines engen „Rahmens“ erlaubt sein soll. Wenn sich die Neue Linke Toleranz auf ihre Fahnen heftet, dann muss sie auch stark abweichende Meinungen tolerieren, die manche Leser, emotional gesehen, „auf die Palme“ bringen könnten. Freilich soll das nicht bedeuten, dass die Neue Linke darauf verzichten sollte, in den Medien die Meinungsführerschaft wiederzuerlangen. Sie sollte sich nur im Klaren sein, dass liberale Parteien auch von solchen unterstützt werden, die mit „Neoliberalismus“ gar nichts am Hut haben und die durchaus auch bereit wären, linken Parteien zu helfen, wenn diese „weltoffener“ und „toleranter“ gegenüber „Fremdartigem“ wären.

    Die Neue Linke muss sich auch Gedanken über all jene machen, die nicht in der Lage sind, am Erwerbsprozess aktiv teilzuhaben, sei es aufgrund einer Behinderung oder einfach deswegen, weil sie keine Anstellung finden. Es ist schon von vielen Seiten gefordert worden, ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ einzuführen. Ich möchte nicht sagen, dass diese Idee der Weisheit letzter Schluss sei, aber es ist zumindest darüber nachzudenken, wie man vom Erwerbsprozess Ausgeschlossenen ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen könnte. Jedenfalls ist es die Unwahrheit, wenn behauptet wird, dass der Sozialstaat unfinanzierbar wäre: Tatsächlich machen die staatlichen Sozialleistungen derzeit nur einen Bruchteil des Budgets aus; wesentlich mehr Geld wird für Pensionen ausgegeben als für die soziale Wohlfahrt.

    Tatsache ist auch, dass die Marx‘sche Forderung von der „Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln“ ausgedient hat. Wenn der Staat wirklich der einzige Arbeitgeber wäre, hätte das aus Sicht eines Arbeitnehmers gewaltige Nachteile: Sollte er es sich aus irgendeinem Grund mit seinem Vorgesetzten verscherzen, hätte er keine Möglichkeit, zu einem anderen Arbeitgeber zu wechseln. Allein das ist aus meiner Sicht Grund genug, vom Marxismus endgültig Abschied zu nehmen.

    Ebenso ist die Marx‘sche Forderung nach einer „Diktatur des Proletariats“ abzulehnen. Es mag schon sein, dass er damit nicht unbedingt eine Diktatur sowjetischer Prägung meinte, sondern einfach, dass die Arbeiterschaft die Macht im Staate übernehmen solle. Grundsätzlich finde ich es aber abzulehnen, dass irgendjemand über irgendjemand anderen herrschen solle. Das Prinzip der Herrschaft sollte allenfalls durch das Prinzip der Führerschaft ersetzt werden: Eine Führungspersönlichkeit ist jemand, der durch sein persönliches Vorbild anderen Menschen zeigt, wie eine gute Lebensweise aussieht. Niemand sollte irgendjemanden beherrschen; es sollte höchstens Menschen geben, die anderen als Vorbild dienen und ihnen dadurch eine Anleitung bieten.

    Zudem muss sich die Neue Linke klar sein, ob sie die Globalisierung unterstützten oder bekämpfen möchte. In dieser Beziehung ist Uneinigkeit zu beobachten. Manche Linke, etwa Hans-Peter Martin oder Teile der Grünen, sind der Globalisierung gegenüber sehr kritisch eingestellt. Andere hingegen scheinen ihr aufgeschlossen zu sein, vielleicht auch deswegen, weil man sich von der national gesinnten Rechten abgrenzen möchte. Solange es noch Nationalstaaten gibt, sollte die Linke jedenfalls darauf pochen, dass auch im internationalen Waren- und Geldverkehr nationales Recht eingehalten wird, sprich: dass die in einem Land anfallenden Steuern auch tatsächlich in diesem Land bezahlt werden. Eine Aufhebung zwischenstaatlicher Gräben darf jedenfalls aus Sicht der Linken nicht zu Lasten von Arbeitnehmern erfolgen. Das ist klar.

    Wenn man die von mir genannten Punkte berücksichtigt, dann hat man Grundlagen einer Neuen Linken geschaffen, die den Anspruch erheben kann, die Rechte der erwerbstätigen Bevölkerung zu vertreten, ohne auf marxistische Rezepte zurückzugreifen. Eine solche Bewegung wäre ich bereit, aktiv zu unterstützen.

    Über den Autor

    Dipl.-Ing. Dr. Claus Volko (*1983) hat an Wiener Universitäten Medizin, Medizinische Informatik und Computational Intelligence studiert. Er lebt und arbeitet in Wien als Software-Entwickler und Autor von wissenschaftlichen Publikationen, unter anderem über Pathophysiologie, Medizinische Informatik und Computational Physics.

    Kontakt: cdvolko (at) gmail (dot) com

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