• Im "liberty.li Monatsmagazin 10/2006" findet sich ein höchst interessanter und ausführlicher Artikel zum Thema "Homeschooling in Deutschland". Hier der Artikel:

    "Homeschooling in Deutschland
    von http://liberty.li/user/eljascha

    Dieser Artikel gibt einen groben Überblick über die Situation des Homeschooling in Deutschland und skizziert die Anliegen der Eltern und die praktische Umsetzung einer Bildung ohne Schulbesuch in unserem Land. Außerdem wird auf die wichtigsten sensiblen Bereiche eingegangen, die Homeschoolern hier von Kritikern allenthalben entgegengehalten werden – Stichworte: Sozialisation, Abschottung, Parallelgesellschaft, religiöser Fundamentalismus. Tatsächlich gäbe es – bei beidseitigem guten Willen – selbst im Rahmen der bestehenden rechtlichen Vorgaben Möglichkeiten eines Übereinkommens zwischen Homeschoolern und den Vertretern der Staatsmacht.

    Der Artikel gibt etwas pauschaliert auch Meinungen und Ansichten wieder, die nicht notwendigerweise den Ansichten der Autorin entsprechen.

    Für Familien, die Homeschooling praktizieren, stehen in der Regel die Aspekte Wertevermittlung, Familienzusammenhalt und pädagogische Alternative im Vordergrund. Nur ein sehr kleiner Anteil von Personen wählt hier in Deutschland ein Leben und Lernen ganz ohne Schule aus rein freiheitlichen Gründen.

    Insgesamt ist die Tatsache, daß es die Möglichkeit des Homeschooling überhaupt gibt und daß wir hier in Deutschland eine relativ einzigartig restriktive Schulgesetzgebung (inklusive deren höchstrichterlicher Auslegung) haben, noch sehr wenig bekannt. Selbst Familien, die der Institution Schule kritisch gegenüber stehen, können sich häufig nicht vorstellen, daß durch einen komplett individualisierten Bildungsweg Kindern kein Nachteil entsteht und daß sogar die Familie als Ganzes davon profitieren kann, wenn die Bildung der Kinder vollkommen in Eigeninitiative gestaltet wird.

    Oft gestellte grundlegende Fragen zum Homeschooling sind:

    - Welche Motivation steht hinter der Entscheidung für eine Bildung ohne Schulbesuch?
    - Wie wird das Lernen ohne Schulbesuch von den Familien praktisch umgesetzt?

    Im großen und ganzen gibt es zwei unterschiedliche Bewegungen, die „Homeschooling“ praktizieren: Dies sind zum einen Familien, die aufgrund ihres christlichen Glaubens motiviert sind, für die Erziehung und Bildung ihrer Kinder selbst nach besten Kräften zu sorgen. Zum anderen sind es Familien, deren alternative pädagogische Vorstellungen sich nicht mit den im öffentlichen Schulwesen bestehenden Strukturen in Einklang bringen lassen.

    A - Religiös motiviertes Homeschooling und häuslicher Unterricht

    Von den religiös motivierten Homeschoolern werden manche der in der Schule vermittelten Unterrichtsinhalte als problematisch angesehen, weil sie den Überzeugungen, die im Elternhaus gelebt und gelehrt werden, widersprechen. Dies ist für ein Kind im Grundschulalter keine Bereicherung seines Weltbildes, sondern stürzt es im Gegenteil in große Unsicherheit. Eltern, die dem Kind Geborgenheit geben sollen, werden plötzlich unglaubwürdig und verlieren in den Augen des Kindes an Ansehen und Respekt.

    Diese Familien wählen in der Regel für ihre Kinder ein individuelles, aber klar strukturiertes Lernprogramm, das auch ihren religiösen Überzeugungen Raum gibt. Das Lernprogramm wird entweder von den Eltern (meist der Mutter) selbst zusammengestellt und vermittelt, wobei die staatlichen Curricula als Leitfaden dienen, oder man wählt ein Fernschulprogramm, das die Kinder zu Hause unter der Aufsicht und mit der Unterstützung der Mutter kontinuierlich bearbeiten. Eine Sichtung und Bewertung der Schularbeiten findet in diesem letzteren Fall durch vertraglich eingebundene Fernschullehrer statt.

    Das in Deutschland am meisten genutzte Fernschulprogramm ist das der Philadelphia-Schule in Siegen, eines staatlich nicht anerkannten christlichen Heimschulwerkes, das jedoch schon etlichen Schülern und Schülerinnen einen individuellen Lernweg bis zum Ende der Sekundarstufe I ermöglicht hat. Absolventen dieses Fernschulwerkes zählen nach dem Übergang auf weiterführende Schulen häufig zu den Klassenbesten. Außerdem besteht die Möglichkeit, als „Externe“ an allgemeinen Prüfungen zur Erlangung von Hauptschulabschluß und Mittlerer Reife teilzunehmen – ein Weg, den schon viele Schüler und Schülerinnen erfolgreich gegangen sind. Wer dann weiter individuell lernen möchte, kann das Programm von „ILS“ (Institut für Lernsysteme) nutzen. Ergänzend sei erwähnt, daß für den erweiterten Grundschulbereich (bis Klasse 6) auch die Deutsche Fernschule in Wetzlar Material und Begleitung anbietet. Die Deutsche Fernschule ist eine für Auslandsdeutsche anerkannte Ersatzschule. Im Inland wird diese Art der Beschulung trotz überzeugender Erfolge bisher nicht als Erfüllung der staatlichen Schulpflicht anerkannt. Der häusliche Unterricht, der nun von den Familien entweder nach ihrem selbst erstellten Stundenplan oder nach den Vorgaben der Fernschule stattfindet, ist sehr oft im Ablauf völlig identisch mit einem normalen Schulvormittag. Es gibt feste Anfangszeiten, einzelne Lerneinheiten (45-Minuten-Schulstunden), kleine und große Pausen. Bei manchen Familien läutet ein Gong oder eine Glocke Beginn und Ende des „Schultages“ ein. In vielen christlichen Familien wird vor Beginn des Unterrichts eine kurze Andacht gehalten und gemeinsam gebetet.

    Das individuelle Lernen und das Lernen in Kleinstgruppen haben einen großen Vorteil: So kann, ausgehend von diesem stark strukturierten System, wenn Lernschwierigkeiten auftauchen, wenn außergewöhnliche Begabungen gefördert werden sollen oder wenn Geschwister unterschiedlichen Alters eingebunden werden müssen, der Unterricht nach Bedarf völlig flexibel abgewandelt und freier gestaltet werden. Studien haben ergeben, daß dadurch der Unterrichtsstoff in einem Drittel der „normalen“ (an Schulen benötigten) Zeit durchgenommen und erlernt werden kann.

    B - Alternativ-pädagogisch motiviertes Homeschooling und selbstbestimmtes Lernen

    Die alternativ-pädagogisch motivierten Homeschooler betonen, daß auch einem Kind die Grund- und Menschenrechte in vollem Umfang zustehen. Sie lehnen es daher ab, Kinder zum Schulbesuch zu zwingen, wobei auch psychische Manipulation als Zwangsmaßnahme angesehen wird – was ja in Einklang mit dem Prinzip einer gewaltfreien Erziehung (wie im BGB gefordert) steht. Wenn ein Kind sich von Beginn an weigert, in die Schule zu gehen, oder wenn es aufgrund schlechter Erfahrungen erst nach einer gewissen Zeit den Schulbesuch verweigert, wird es dabei von seinen Eltern unterstützt.

    Nicht einzelne Unterrichtsinhalte werden abgelehnt, sondern die Schule als „Zwangsanstalt“ mit all den ihr durch den Zwangscharakter inheränten Eigenheiten, wie z. B. dem sogenannten „heimlichen Lehrplan“. Wäre der Schulbesuch freiwillig, würde er befürwortet. Das Kind würde nur hingehen, wenn es wirklich dafür motiviert wäre, es würde sich die Lerninhalte nach seinen jeweiligen Interessen und Neigungen aussuchen.

    Diese Familien lassen die Kinder oft sehr frei lernen, das heißt, es werden keinerlei Unterrichtsvorgaben gemacht. Was das Kind lernen will, wonach es fragt, wird aufgegriffen und mit dem Kind zusammen erarbeitet. Das Kind wird beim Lernen nicht unterwiesen, sondern lediglich begleitet. Diese freie Form des Lernens wird im englischsprachigen Raum – wo sie zunehmend Verbreitung findet – auch als „Unschooling“ bezeichnet.

    Die Lernerfolge liegen genauso wie beim häuslichen Unterricht weit über dem jeweiligen Landesdurchschnitt. Es hat sich herausgestellt, daß die grundlegenden Kulturtechniken (Lesen, Schreiben, Rechnen) und insbesondere auch alle Themen des Sachkundeunterrichts in unserer Gesellschaft leicht ohne Unterrichtung erlernt werden können, allerdings nicht immer in dem Alter, wo dies in der Schule eingefordert wird. Dafür liegen sprachliche Kompetenz, Konzentrationsfähigkeit, Selbständigkeit und ähnliche allgemeine Kompetenzen von Unschooling-Kindern oft weit über dem Durchschnitt. Offenbar fördert das Zugeständnis zu einem Lernen nach intrinsischer Motivation und von weitestgehender Selbstbestimmung die Heranbildung einer in sich ruhenden und selbstsicheren Persönlichkeit. Wenn das Kind älter ist und komplexere Dinge erlernen will, wird es ein intensiver Lernwunsch dazu führen, sich schwierige Themen selbst strukturiert zu erarbeiten. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, bei Bedarf jederzeit in ein strukturierteres Lernsystem (z. B. Fernschule) zu wechseln. Auch diese Kinder schaffen es, später als „Externe“ in allgemeinen Abschlußprüfungen zu bestehen.

    C - Vereine und Initiativen, die Homeschooling in Deutschland unterstützen

    In Deutschland versucht der Verein SchuzH (Schulunterricht zu Hause e. V.) seit einigen Jahren, eine Lobby für Homeschooler aufzubauen. Bislang sind die ca. 180 Mitglieder von Schuzh überwiegend religiös motivierte Homeschooling-Familien.

    Der Verein BVNL (Bundesverband Natürlich Lernen! e. V.) vertritt die alternativ-pädagogische Richtung und unterstützt neben den einzelnen Homeschooling-Familien zu diesem Zweck außerdem die Planung und Gründung sogenannter „Familienschulen“ (Kinder aus der Nachbarschaft lernen in Kleingruppen zusammen, die Begleitung übernehmen die Eltern selbst).

    Neben diesen beiden bundesweit tätigen Vereinen gibt es noch eine kleinere Anzahl meist eher lokal oder regional tätiger Homeschooling-Initiativen, deren Bestreben die Unterstützung und Vernetzung von Homeschoolern und das Erarbeiten und Organisieren praktischer Angebote (z. B. Exkursionen) ist.

    Seit Frühjahr dieses Jahres besteht zudem das „Netzwerk Bildungsfreiheit“. Eine kleine Gruppe von Eltern, die entweder Homeschooling machen oder an der Gründung freier Alternativschulen beteiligt sind, fand sich spontan zusammen, um einen Bericht an den UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung, Vernor Muñoz, zu erstellen. Den Initiatoren dieses Projektes gelang es, eine beachtliche Anzahl von Vereinen, Initiativen und Einzelpersonen als Unterzeichner ihres Rapports zu gewinnen. Dies war das erste Mal, daß in Deutschland Homeschooler mit verschiedenen pädagogischen, philosophischen und religiösen bzw. nicht-religiösen Anschaungen auf einer überregionalen Ebene zusammenarbeiteten.

    D - Gemeinsame Anliegen derjenigen, die Homeschooling praktizieren oder unterstützen

    Die Familie ist ein Ort, an dem Kinder sich geborgen fühlen sollen. Die Eltern haben als freie Bürger das Recht, ihre Überzeugungen und ihre Lebensweise frei zu wählen und zu gestalten. Werden insbesondere junge Kinder gegen ihren eigenen Wunsch oder den der Eltern gezwungen, in eine Schule zu gehen, wo möglicherweise eine Wertevermittlung stattfindet, die derjenigen im Elternhaus zuwiderläuft, werden Kinder verunsichert, die Familie verliert ihren Status als Ort der Geborgenheit. Daß Geborgenheit und emotionale Sicherheit eine grundlegende Voraussetzung für erfolgreiches Lernen sind, bestätigt die moderne Gehirnforschung (z. B. die Arbeiten des Göttinger Neurobiologen Gerald Hüther). Erziehung und Bildung sollte daher familienorientiert stattfinden, mit anderen Worten, das Recht der Eltern auf die Ausgestaltung der Erziehung und Bildung ihrer Kinder sollte über dem Recht des Staates dazu stehen.

    Weder strenggläubig christliche noch alternativpädagogisch motivierte Eltern betrachten Kinder als ihr Eigentum, sondern erkennen an, daß es alleinig ihre Aufgabe ist, die ihnen (von Gott) anvertrauten Kinder nach bestem Wissen und Gewissen und nach besten Kräften auf ihrem Weg zum Erwachsenendasein zu begleiten und zu unterstützen. Einzelne Eltern machen dies auf unterschiedliche Art und Weise entsprechend ihren persönlichen Überzeugungen. Das Kindeswohl hat für sie höchste Priorität. Die meisten Eltern würden sogar eine Schulpflicht, die (wie z. B. in Frankreich) als Bildungspflicht interpretiert wird, hinnehmen. Den ideologischen Anspruch des Staates allerdings, die Schulpflicht nur dann als erfüllt anzuerkennen, wenn ein Schüler regelmäßig in einem Schulgebäude präsent ist und innerhalb eines Klassenkollektivs unterrichtet werden kann, lehnen sie entschieden ab.

    Diskussion gängiger Argumente gegen Homeschooling

    1) Soziales Lernen und soziale Kontakte außerhalb der Schule

    Homeschooling-Kinder werden nicht „nicht sozialisiert“, sondern anders als Schulkinder. Der üblichen Sozialisierung innerhalb einer Schulklasse (einer Gruppe mehr oder weniger Gleichaltriger) steht eine Sozialisierung gegenüber, die im realen Leben stattfindet. Die Schulklasse ist eine künstlich zusammengeführte Gruppe, die keinesfalls immer die als wichtig propagierte Mischung aus verschiedenen sozialen, ethnischen und religiösen Schichten darstellt – es gäbe sonst keine „Brennpunkt-Schulen“. Auch das Umfeld, in dem die Sozialisation stattfindet, ist künstlich, ein von der Gesamtgesellschaft abgetrenntes Ghetto für Kinder und Jugendliche und ihre Lehrer, zu dem Eltern nur sehr begrenzt Zugang haben.

    Dagegen findet die Sozialisation von Homeschool-Kindern überwiegend in der Familie statt, zudem in den Umfeldern, welche die Kinder alleine oder mit ihrer Familie regelmäßig aufsuchen. Dies können verschiedene Freizeitangebote, kleine, meist altersgemischte Lerngruppen, Vereine, Kirchengemeinden, Nachbarn oder die Großfamilie sein. Die Sozialisation von Homeschool-Kindern findet nur untergeordnet innerhalb von Gruppen Gleichaltriger statt, sie haben sehr viel mehr und intensivere Kontakte zu Menschen aller Altersstufen als Schulkinder.

    Welcher Art der Sozialisation der Vorrang zu geben ist, sollte man am Ergebnis messen: Demnach weisen Homeschool-Kinder ein meist als sozialer empfundenes Verhalten auf als Schulkinder. Auch ihre Strategien, um sich in der Gesellschaft zurechtzufinden und zu behaupten, sind meist angemessener als diejenigen von Schulkindern. Diese Erkenntnisse wurden in internationalen Studien führender Homeschooling-Nationen (USA, Kanada, England) erlangt.

    Selbstverständlich haben Homeschool-Kinder genauso Feundschaften zu anderen Kindern wie Schulkinder. Die Freundschaften entstehen auch zwischen Homeschool- und Schul-Kindern. Kinder sehen die Dinge nicht so eng, daß sie sagen würden, ich will nur einen Freund, eine Freundin, die genauso leben wie ich. Die Schule ist in solchen Freundschaften bald kein Thema mehr, es sei denn, das Schulkind muß Hausaufgaben machen, und das Homeschool-Kind schließt sich dieser Tätigkeit des Freundes, der Freundin spontan an. Problematisch ist nur, daß Schulkinder immer weniger freie Zeit haben, um sich überhaupt außerhalb der Schule mit anderen Kindern zu treffen.

    Mit zunehmendem Alter taucht bei den meisten Schulkindern das Problem auf, daß sie nicht mehr richtig frei spielen können. Die gemeinsamen Aktivitäten zwischen Homeschool-Kindern und Schulkindern reduzieren sich dann meist auf ganz konkrete Beschäftigungen wie Fußballspielen, Fahrradfahren, Kartenspielen usw. Dem freien, kreativen, phantasievollen Spiel wird zusammen mit anderen unbeschulten Kindern oder alleine nachgegangen.

    2) Überprüfbarkeit und staatliche Kontrolle des Homeschooling

    Familien, die sich bewußt für Homeschooling entscheiden, werden, wenn sie keine willkürlichen staatlichen Kontrollen fürchten müssen, auch zu einer Zusammenarbeit mit Schulbehörden und Jugendämtern bereit sein. Grundlage dafür wäre ein Ernstnehmen der jeweiligen weltanschaulichen, religiösen und pädagogischen Vorstellungen, so daß für die Überprüfung von seiten der Behörden der Rahmen weit genug gefaßt bleibt, um den individuellen Vorstellungen der Eltern einerseits und der ungehinderten Entfaltung der individuellen Begabungen der Kinder andererseits so viel Spielraum wie möglich zu geben. Vorbild dazu könnte das sehr liberale Bildungswesen in England sein. Dort müssen Kinder weder bei einer Schule noch sonstwo gemeldet werden, wenn sie zu Hause lernen sollen. Da es keine Vorschriften über regelmäßige Kontrollen gibt, breitet sich das freie, selbstbestimmte Lernen aus. In Frankreich werden Homeschooling-Kinder regelmäßig überprüft, allerdings müssen die Kontrollen so gehalten sein, daß sie den unterschiedlichen pädagogischen Ansätzen gerecht werden; die Inspektoren sollten die Kinder nicht stur nach „jahrgangsmäßigem“ Wissen und Kenntnissen abfragen, sondern eine Beurteilung der Gesamtkompetenzen und –entwicklung des jeweiligen Kindes vornehmen. In Österreich nehmen Hausschüler an jährlichen Tests teil, wo sie zeigen müssen, daß sie den Stoff der jeweiligen Jahrgangsklasse beherrschen. Diese Art der Überprüfung stellt für Minder-, Hoch- und Teilbegabte ein bereits zu enges Korsett dar, um sich wirklich bestmöglich nach den eigenen Fähigkeiten entwickeln zu können.

    Völlig unberührt von einer Freigabe des Homeschooling und der Art der Kontrolle eines solchen Bildungsweges werden weiterhin durch die allgemein anerkannten Abschlüsse (Hauptschulabschluß, Mittlere Reife, Fachabitur und Abitur) Bildungsziele abgesteckt und gesichert, die auch von Homeschoolern erreicht werden können. Inwieweit die Erlangung bestimmter Abschlüsse für die zukünftigen Ausbildungsund Berufschancen zwingend nötig ist, mag dahingestellt bleiben. Immerhin haben gerade im großen EDV- und IT-Bereich nicht wenige Studienabbrecher erfolgreich Fuß fassen können.

    Zusätzlich hätten Homeschooler die Möglichkeit, aufgrund ihrer zeitlichen Flexibilität schon früher und ausgiebiger als normale Schüler Berufs-Praktika zu machen; auch auf diesem Weg könnte sich ein Einstieg in eine Ausbildung oder Erwerbsarbeit ergeben.

    3) Wertvorstellungen und Wertevermittlung in Homeschooling-Familien

    a) Zur Kritik einzelner Bildungsinhalte und des mitmenschlichen Umgangs in Schulen

    Die Ablehnung einzelner Unterrichtsinhalte birgt für sich nicht eine Ablehnung der verfassungsmäßigen Ordnung und der dem Grundgesetz oder den Länderverfassungen zugrundeliegenden Werte. Im Gegenteil werden die allgemeinen Grundrechte der Verfassung von Homeschoolern gerade besonders eingefordert – zum Beispiel das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Auch Toleranz gegenüber anderen wird geübt, Homeschooler setzen sich in keiner Weise für die Abschaffung der Schulen und ein generelles Homeschooling-Gebot ein, allerdings wünschen sie, daß auch ihnen und ihren Vorstellungen Toleranz entgegengebracht wird.

    Die Länderverfassungen und Schulgesetze Bayerns und Baden-Württembergs (sowie diejenigen einiger weiterer Bundesländer) verweisen ausdrücklich auf die ihnen zugrundeliegenden abendländisch-christlichen Werte. Die Gestaltung des Schullebens, des Unterrichts und die gesamte Wissensvermittlung baut zumindestens theoretisch auf diesem Fundament auf. Eine Kritik einzelner Bausteine ist nicht notwendigerweise eine Kritik am gesamten Gebäude (System), was sich ja auch darin äußert, daß bestimmte Familien eine häusliche Unterrichtung ihrer Kinder weitgehend an den staatlichen Curricula orientieren. Wenn nun – wie insbesondere bei religiös motivierten Homeschoolern häufig der Fall – die schulische Sexualerziehung in Frage gestellt wird, so bedeutet das nicht eine Ablehnung von Aufklärung und Sexualkunde als sinnvolle Bestandteile einer allgemeinen Bildung. Kritisiert werden lediglich Art und Weise, Rahmenbedingungen und Zeitpunkt der Vermittlung dieser Bildungsinhalte.

    Auch die Evolutionstheorie wird nicht als allgemeiner Unterrichtsinhalt kritisiert, sondern nur die Art und Weise, wie diese verabsolutiert und zu einer unangreifbaren Lehre stilisiert wird. Die Evolutionstheorie als Hypothese einer möglichen Entwicklung des irdischen Lebens zu vermitteln würde durchaus anerkannt, weil daneben auch noch andere Sichtweisen Bestand haben könnten. Auch wenn das Bibelstudium mit den entsprechenden Texten einen wichtigen Bestandteil in der Unterweisung mancher Kinder einnimmt, so ist es kein simpler Märchenglaube, der dadurch vermittelt wird, sondern die Ehrfurcht vor dem Leben, das nicht als reines Zufallsprodukt angesehen wird, sondern als Werk Gottes und seiner schöpferischen Macht. Es gibt nicht wenige international bekannte Wissenschaftler, darunter insbesondere Naturwissenschaftler, die sich den Glauben an eine Schöpfung behalten oder während ihrer Studien erworben haben. Gerade hochkarätige Naturwissenschaftler gelangen durch ihre Forschungen immer wieder zu einem Punkt, der sie die Begrenztheit des menschlichen Geistes erkennen und den Glauben an eine Schöpfung finden läßt.

    Die staatliche Forderung, Kinder müßten möglichst frühzeitig mit anderen Menschen (Kindern) unterschiedlichster Herkunft und Weltanschauung zusammenkommen, wird weitgehend abgelehnt. Diese Ablehnung ist eine unmittelbare Folge heutiger schulischer Realität, die nicht selten von einem schwierigen mitmenschlichen Umgang sowohl der Kinder untereinander als auch zwischen Lehrern und Schülern gekennzeichnet ist. Respektvoller und freundlicher Umgang weichen zunehmend rüden Verhaltensweisen und Mobbing. Auch der weitverbreitete Zugang schon junger Kinder zu Statussymbolen (z. B. Handy) – deren Nichtbesitz Ausschluß bedeutet – und die Herausbildung einer durch das Schulleben geförderten Jugendkultur (Bevorzugung bestimmter Musikgenres, Konsum freizügiger Magazine, Filme etc. und frühzeitiger Konsum von Suchtmitteln) werden kritisiert.

    Insgesamt wird Schule immer weniger als ein für das Aufwachsen von Kindern geeigneter Ort angesehen, und das sehr oft aufgrund persönlicher schlechter Erfahrungen.

    b) Wertevermittlung im Homeschooling

    Unsere Gesellschaft, die öfters als „postmodern“ und „wertfrei“ beschrieben wird, bietet durch diese Wertfreiheit geradezu ein Vakuum, wodurch einzelne Menschen und Gruppen mit sehr klar definierten Wertvorstellungen angezogen werden, diese Werte gegenüber der allgemeinen Beliebigkeit besonders zu betonen. Das wird heutzutage als fundamentalistisch bezeichnet, weil es unmodern ist. In den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wären dieselben, heute als „christlich-fundamentalistisch“ bezeichneten Wertvorstellungen als völlig normal angesehen worden. Dabei hat zur damaligen Zeit die Gesellschaft vermutlich nicht schlechter funktioniert als heute – möglicherweise gelang es sogar mehr Menschen, einen für sich persönlich und für das Gemeinwesen gewinnbringenden Lebensstil zu ergreifen.

    Nachdem das Homeschooling in Deutschland noch illegal ist und von den meisten Familien nur unter Eingehung eines hohen Risikos und großer persönlicher Opfer im materiellen Bereich überhaupt praktiziert werden kann, darf davon ausgegangen werden, daß auch die meisten alternativ-pädagogisch motivierten Homeschooler keine reinen Materialisten, sondern in irgendeiner Weise spirituell orientierte Menschen sind. Beim Homeschooling geht es daher in den seltensten Fällen nur darum, Wissen und Lernerfolge zu maximieren, sondern vor allem um die Heranbildung gefestigter Charaktere und ausgereifter Persönlichkeiten, wozu die Vermittlung der Werte, über die Familienkonsens besteht, das Fundament bildet.

    Die Wertfreiheit und die daraus resultierende Beliebigkeit haben zu einer großen allgemeinen Verunsicherung geführt, die auch durch eine flächen- und zeitdeckende Institutionalisierung sämtlicher Lebensbereiche nicht aufgehoben werden kann. Allenfalls wird eine zunehmende Durch-Insitutionalisierung des Lebens dazu führen, daß die Lebensängste der Einzelnen in Schach gehalten werden und daß die Masse der Einzelnen funktioniert. Eine so entstehende Staatsform relativ unmündiger Individuen wird keine freiheitliche Demokratie mehr sein. „Demokratie wagen“ bedeutet auch, dem Einzelnen Vertrauen entgegenzubringen und staatliche Kontrollwünsche klein zu halten, damit sich Kreativität entfalten kann.

    Es scheint so, daß die „gesellschaftliche Realität“, in die der gemeinsame Schulunterricht alle Kinder hineinführen soll, gar nicht wirklich und vor allem nicht positiv definiert ist. Wäre es da nicht hinnehmbar, wenn einzelne Eltern und Gruppierungen, die ein klar definiertes Weltanschauungs- und Wertesystem vertreten, dieses im Homeschooling (oder in privaten Kleinschulen) auch ihren Kindern als Grundlage vermitteln? Wenn die Kinder heranwachsen und in die Welt hinausgehen, werden sie erstens genügend Selbstsicherheit haben, um die Konfrontation mit anderen Meinungen auszuhalten, und zweitens noch ausreichend Gelegenheit, abweichende Lebensweisen kennenzulernen und eventuell für sich selbst zu übernehmen, dann aber aus dem Stand der Reife heraus.

    Abschließend kann festgehalten werden, daß sich zwar allgemein in der postmodernen Gesellschaft eine Wertfreiheit ausbreitet, daß aber unter Personen und zwischen Gruppen, die sich bewußt mit der Wertediskussion auseinandersetzen, ein recht hoher Konsens über die wichtigsten allgemeinen Werte besteht: es sind dies die allgemeinen Grund- und Menschenrechte. Egal welchem politischen oder religiösen Hintergrund diese Personen oder Gruppen entstammen, ihre Existenz ist von höchster Bedeutung für die Gesellschaft. Denn unser ganzes Rechtssystem beruht auf einer Übereinkunft über zentrale zugrundeliegende Werte. Wertfreiheit würde für das Rechtssystem den Kollaps bedeuten.

    4) Das „Problem“ der sogenannten „Parallelgesellschaften“

    Deutschland nimmt – im Gegensatz zu Frankreich – nicht für sich in Anspruch, ein laizistischer Staat zu sein. Im öffentlichen politischen Leben (z. B. Gottesdienste anläßlich von Staatsakten) und im Schulwesen (lehrplanmäßig organisierter Religionsunterricht) wird den beiden christlichen Hauptkirchen eindeutig der Vorzug gegeben. Andererseits sind bereits ca. 25 bis knapp 30 % aller Bundesbürger ohne Konfession. Das Grundgesetz garantiert Religionsfreiheit und schafft damit die Grundlage dafür, daß prinzipiell Gläubige aller Konfessionen und Religionen gleichermaßen toleriert werden müssen. Dennoch geht in Deutschland zur Zeit ein großes Gespenst umher: das von religiös motivierten, bedrohlichen Parallelgesellschaften, die einen Angriff auf unser grundlegendes Wertesystem darstellen.

    Die Befürchtungen richten sich dabei in erster Linie auf den Islam: „Wenn wir es strenggläubigen Christen erlauben, daß sie ihre Kinder zu Hause unterrichten, dann müssen wir es bei strenggläubigen Moslems auch dulden.“ So oder ähnlich lauten oft gehörte Einwände – obwohl es in Deutschland an konkreten Beispielen für islamische Schulen und „islamisches Homeschooling“ mangelt – ganz im Gegenteil zu Großbritannien mit seinem freiheitlichen Bildungswesen, wo es sowohl islamische Homeschooling-Familien als auch islamische Privatschulen in größerer Anzahl gibt.

    Wie bereits weiter oben ausgeführt, ist es wohl wichtiger, daß es überhaupt ein Wertebewußtsein gibt, als von wem dieses Wertebewußtsein getragen wird. So betrachtet verlieren auch „Schreckensbilder“ wie das einer „vermummten“ Muslimin, die ihre Kinder zu Hause unterrichtet, oder das „einer Klasse bekopftuchter Mädchen, die von einer Lehrerin mit Kopftuch unterrichtet werden“ (Aussage einer Politikerin, MdL NRW), ihre beunruhigende Wirkung. Kleidung ist Privatsache – und daß sich islamische Mädchen und Frauen möglicherweise mit Kopfbedeckung eventuell sogar besser (weil den Erwartungen ihrer Angehörigen angepaßter?) fühlen als ohne, sollte für Außenstehende kein Problem sein. In so vielen gesellschaftlichen Gruppen sind es Äußerlichkeiten wie zum Beispiel die „angesagte“ Kleidung, die dazu beitragen, ob man sich dazugehörig fühlt oder nicht. Eine Anpassung in solchen Äußerlichkeiten ist nicht notwendigerweise ein Affront gegen andere.

    Grundsätzlich scheint das Problem „Parallelgesellschaften“ aufgebauscht zu sein, denn eine pluralistische Gesellschaft kann per definitionem keine Einheitsgesellschaft sein. Was aber ist sie dann? Möglicherweise eine aus verschiedenen Strömungen, Gruppierungen, aus etlichen kleineren, friedlich parallel nebeneinander existierenden, sich trotzdem untereinander in unterschiedlichem Maße in Interaktion befindlichen Teilgesellschaften bestehende Gesamtgesellschaft. Eine pluralistische Gesellschaft besteht aus Parallelgesellschaften! Angst macht diese Tatsache nur, wenn die Kommunikation untereinander abreißt! Die Schule ist aber kaum der Ort, der die notwendige Kommunikation fördert, da sie gerade diejenigen kaum erreicht, die auf den jeweiligen Traditionen am meisten bestehen: die Eltern.

    Man könnte nun argumentieren, daß Kinder und Jugendliche ihre Schulerfahrungen nach Hause tragen und so einen nicht unwesentlichen Einfluß auf ihre Eltern nehmen – diese sozusagen (im Sinne des Staates) erziehen. Diese Sichtweise ist vielleicht zutreffend aber sehr problematisch, weil dadurch deutlich wird, daß Schulbildung nicht allein um der Kinder willen gegeben wird, sondern daß sie Kinder teilweise instrumentalisiert, um gegen ihre eigenen Eltern aufzubegehren. Desweiteren würde in solchen Fällen in Kauf genommen, die für eine erfolgreiche Entwicklung der Kinder wichtige Atmosphäre familiärer Vertrautheit und Geborgenheit zu (zer)stören.

    Rechtlicher Rahmen

    Des öfteren ist das Argument zu vernehmen, Homeschooling könne in keinem Fall erlaubt werden, denn dafür bedürfe es erst einer Gesetzesänderung (möglicherweise sogar einer Änderung einzelner Landesverfassungen). Nun, es würde ausreichen, Homeschooling vorerst zu tolerieren. Denn oft fällt die Entscheidung für das Homeschooling wirklich aus einer inneren Not heraus – sei es die Gewissensnot der Eltern oder die Not eines an der Schule leidenden Kindes. Solche Familien bräuchte man nicht noch zusätzlichem Druck aussetzen, indem den Kindern die polizeiliche Zuführung zum Unterricht und den Eltern kaum zu finanzierende hohe Buß- und Zwangsgelder oder gar der Entzug des Sorgerechtes angedroht werden. Während die Schulpflicht überwiegend bereits in den Ländervefassungen verankert und damit Teil der verfassungsmäßigen Ordnung ist, wird die Gleichstellung der Schulpflicht mit der Schulbesuchspflicht erst in den Schulgesetzen der Länder geregelt. Es bedürfte nur einer einfachen Gesetzesänderung festzulegen, daß die Schulpflicht auch an Orten außerhalb eines normalen Schulgebäudes und außerhalb der Gemeinschaft einer normalen Schulklasse erfüllt werden kann. Die bisherige rechtliche Auslegung von Schule als „einer organisierten, auf Dauer angelegten Einrichtung, in der eine wechselnde Mehrzahl von Schülern zur Erreichung allgemein festgelegter Erziehungs- und Bildungsziele planmäßig durch hierzu ausgebildete Lehrkräfte gemeinsam unterrichtet wird“ (eine Formulierung aus höchstrichterlichen Urteilen), gründet unter anderem auf der Annahme ihrer gesellschaftlichen und pädagogischen Notwendigkeit. Daß Schule in modernen Informationsgesellschaften tatsächlich weder gesellschaftlich noch pädagogisch weiterhin legitimiert werden kann, zeigen die diversen Studien über Homeschooling, in denen durchweg überdurchschnittliche Lernerfolge, hohes gesellschaftliches Engagement sowie gute Ausbildungs- und Berufschancen ehemaliger Homeschooler dokumentiert werden. Andererseits offenbart die zitierte Auslegung den Versuch einer staatsideologischen Legitimation von Schulpflicht, die das Kollektiv klar über das Individuum stellt und eindeutig gegen Art. 2 Abs.1 GG – die freie Entfaltung der Persönlichkeit – verstößt.

    Zuletzt sollte nicht vergessen werden, daß im Zusatzprotokoll Nr. 1, Artikel 2, Satz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten geschrieben steht: „Der Staat hat bei der Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.“ Diese Konvention sowie auch das Zusatzprotokoll Nr. 1 wurden von der Bundesrepublik Deutschland schon vor langer Zeit ratifiziert; sie ist in Kraft getreten und ist für die Unterzeichner verbindlich. Es wäre an der Zeit, daß der deutsche Staat den Verpflichtungen, die er mit der Unterzeichnung dieser Konvention eingegangen ist, auch im Bereich des Bildungswesens nachkommt.

    Unterstützen Sie Eltern, die verfolgt werden,
    weil Sie mehr als staatliche Einheitsbildung für
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    liberty.li Solidaritätsfonds:
    http://de.liberty.li/commitment/?id=28"

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